Positionspapier | Kurzversion

Aufnahme von Sprachmittlung in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) bzw. ins SGB V

Stand: 14.12.2022

Zentrum ÜBERLEBEN zeichnet Positionspapier mit: Initiiert durch das TransVer neXus Forum „Interkulturelle Öffnung im Gesundheitswesen X.0 – von Widerständen und Neuanfängen – Digitales Forum am 22. & 23. Juni 2021“ hat sich im Sommer 2021 ein „Bundesweites Bündnis für Sprachmittlung im Gesundheitswesen“ zusammengeschlossen, das sich für die Aufnahme von Sprachmittlung in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) bzw. ins SGB V einsetzt. 30 Organisationen haben in diesem Rahmen ein Positionspapier erstellt, in dem die politisch Verantwortlichen – u.a. das Bundesministerium für Gesundheit und die fachpolitischen Sprecher:innen der Regierungsparteien – dazu aufgerufen werden, dies nun schnellstmöglich rechtlich zu verankern.[1]

Eine sichere Verständigung ist gemeinhin als Grundlage für eine gleichberechtigte Teilhabe an der
Gesundheitsversorgung essentiell. Der negative Einfluss von Sprachbarrieren auf Zugang, Behandlungsqualität, -erfolg und -zufriedenheit sowie die adäquate Nutzung von Gesundheitsressourcen ist empirisch hinreichend belegt (1–7). Auf der anderen Seite konnte der positive Einfluss des Einsatzes von geschulten Sprachmittler:innen bei der Reduktion dieser Barrieren gezeigt
werden (8–10). Bezüglich des Einsatzes von Sprachmittlung im Gesundheitswesen am Beispiel der
Krankenhausversorgung herrschen aufgrund der fehlenden Finanzierungsstrukturen jedoch weiter
klinik- und stationsinterne Kompromisslösungen vor (11). Für Mitarbeitende und Patient:innen resultieren
daraus Unzufriedenheit, Ohnmacht, Verunsicherungen und Frustrationen, die Kulturalisierungen [2]
und Rassismen (re-)produzieren und sich zu aggressiven Konflikten zuspitzen können [3] .

Unsere Forderung nach einer gesetzlichen Verankerung der Sprachmittlung basiert auf ethischen
und rechtlichen Argumenten. Die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesundheitsversorgung ist im
Grundgesetz gegenüber der öffentlichen Gewalt in Art. 3 verankert sowie für die private Sphäre aus
dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ableitbar (14, A15). Aus dem im Jahr 2013 verabschiedeten
Patientenrechtegesetz ergeben sich konkretere Anforderungen an die behandelnde Fachkraft bezüglich
der Behandlungsaufklärung, aus der die Notwendigkeit einer ausreichenden sprachlichen Verständigung
eindeutig abzuleiten ist (16). Während die Kostenübernahme für Gebärdensprachmittlung
mittlerweile im SGB I gesetzlich geregelt wurde (§ 17 Abs. 2 SGB I) (17), ist der Bedarf an Sprachmittlung für Patient:innen ohne ausreichende Deutschkenntnisse nicht berücksichtigt worden. Die aktuelle Rechtsprechung verortet die Sprachbarriere bzw. deren Lösung in der privaten Sphäre der Patient:innen (18). Eine Kostenübernahme für Sprachmittlung ist allein für Empfänger:innen von Grundleistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz (19) möglich, liegt jedoch im Ermessen des:er Sachbearbeiter:in.

Wir vertreten die Ansicht, dass der fehlende rechtliche Anspruch auf Sprachmittlung in der Gesundheitsversorgung und die aktuelle Rechtslage zur Kostenübernahme von Sprachmittlung bestehende
strukturelle Benachteiligungen von Menschen mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen im Gesundheitswesen verfestigen und somit unter dem Gesichtspunkt des strukturellen Rassismus zu betrachten sind. Auch im 2017 veröffentlichten „Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus“ (20) wird diese Position vertreten. Die erneute Initiative für die Sicherung des Anspruchs auf Sprachmittlung im Gesundheitswesen hat über TransVer-neXus [4] im Sommer 2021 begonnen. Im Koalitionsvertrag 2021–2025 der Bundesregierung wird erklärt, dass „Sprachmittlung auch mit Hilfe digitaler Anwendungen […] im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des SGB V“ (21, S. 84) wird. Wir greifen dies als
Forderung auf und schlagen folgende zentrale Schritte zu ihrer Umsetzung und damit zum Abbau von
strukturellem Rassismus und Diskriminierung vor.

Forderungen:

1) Aufnahme von Sprachmittlungsleistungen in den Katalog der GKV bzw. ins SGB V und in weiteren Gesetzen, z.B. AsylbLG;

2) Einberufung einer bundesweiten interdisziplinären Expert:innenkommission mit Vertreter:innen aus
Medizin und allen Heilberufen, Sozialer Arbeit, Gesundheitsförderung und Prävention, Ethik, Rechtsprechung, Sozial- und Kulturwissenschaften, Sprachmittlungsdienstleistern/- verbänden/-organisationen, Migrant:innenorganisationen und weiteren relevanten Bereichen, die in diesem Prozess beratend, meinungsbildend und zur Sicherstellung der vereinbarten Standards einbezogen wird;

3) Entwicklung und Finanzierung von Konzepten zur Verbesserung des Zugangs zu Leistungen der Gesundheitsversorgung (z.B. Webseiten der KV; übersetzte Infomaterialien; Terminvereinbarungsservice in verschiedenen Sprachen etc.);

4) Es wird eine Budgetierung der Sprachmittlung pro Krankheitsfall von Fachgremien entwickelt;

5) Erarbeiten und Einführen einer ausreichenden zeitlichen Budgetierung für Anamnese-, Diagnostik- und
Verlaufsgespräche, um die Erfassung und Berücksichtigung besonderer Bedarfe sicherzustellen;

6) Bereits bei Vereinbarung des Untersuchungstermins sollte die Indikation zur Sprachmittlung von den Fachkräften gestellt werden und entsprechende diagnostische Ziffern werden eingeführt;

7) Alle Berufsgruppen in der Gesundheitsversorgung, die Leistungen nach SGB V anbieten, sollen Zugriff auf Sprachmittlung erhalten können;

8) Förderung des Aufbaus eines Netzes aus lokalen und bundesweiten Sprachmittlungsdiensten
mit geschulten Sprachmittler:innen, aus dem
• persönliche sowie
• Video- und Telefondolmetschleistungen
mit geringem organisatorischem Aufwand kurzfristig angefordert werden können;

9) Benennung eines klaren Rollenleitbildes als Qualitätsstandard für die Sprachmittlung; niedrigschwellige
modulare Qualifizierungsmöglichkeiten, vielfältige Zugänge zur Tätigkeit für erfahrene Seiteneinsteiger:innen;

10) Entwicklung einer angemessenen Gebührenordnung, welche den Sprachmittlungsdiensten die Umsetzung von hochwertigen Schulungs- sowie Supervisionsformaten ermöglicht;

11) Integration von Fort- und Weiterbildungsangeboten für die Arbeit mit Sprachmittler:innen in die Curricula für Fachkräfte aus allen Berufsgruppen.

Begriffliche Anmerkung: Für die Sprachmittlungs-Tätigkeit werden aktuell im deutschsprachigen Raum viele verschiedene Bezeichnungen verwendet – u. a. Gemeindedolmetscher:innen, Sprach- und Kulturmittler:innen, Sprach- und Kommunikationsmittler:innen, Sprach- und Integrationsmittler:innen, interkulturell Dolmetschende. Uns als Verfasser:innen geht es aber nicht um die Unterschiedlichkeiten, in welchen die verschiedenen Sprachmittlungsformen voneinander abweichen, sondern um das gemeinsame Anliegen: eine durch Sprachmittlung gelingende sprachliche Verständigung für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen in der Gesundheitsversorgung zu erreichen. Daher verwenden wir in diesem Positionspapier durchgängig den Begriff “Sprachmittlung”.

Langversion des Positionspapiers & Mitzeichnende:

Die Langversion des Positionspapiers mit detaillierteren Ausführungen und allen Mitzeichnenden, darunter das Zentrum ÜBERLEBEN, sind in einem PDF-Dokument auf der folgenden Seite zu finden: https://transver-berlin.de/nexus-positionspapier-sprachmittlung/

Kontakt:

sprachmittlung-ccm@charite.de


Anmerkungen & Quellen:

[1] Der Introtext sowie der Text der Kurzversion des Positionspapiers stammt von folgender Website: https://transver-berlin.de/nexus-positionspapier-sprachmittlung/

[2] Kulturalisierung meint „die Tendenz, Lebens-, Verhaltens-, Wahrnehmungs- und Denkmuster als kul- turell determiniert und reduziert auf eine nationale bzw. ethnisch spezifische Kultur zu beschreiben“. Dies wird als besonders problematisch diskutiert, wenn hierbei bestehende Macht- bzw. Ungleichheits- verhältnisse übersehen, missachtet und verleugnet werden bzw. im Alltagsrassismus durch kulturelle Zuschreibungen legitimiert werden (12–13).

[3] Dies ist in den noch unveröffentlichten Ergebnissen der Befragung im Rahmen des Projektes „TransVer – neXus. Interkulturelle Öffnung der Berliner Krankenhäuser“ deutlich geworden.

[4] https://transver-berlin.de/nexus-was-wir-machen/

Alle Quellen sind hier zu finden: https://transver-berlin.de/wp-content/uploads/2022/11/Positionspapier-Buendnis-Sprachmittlung_Kurzversion.pdf