120.000 Armenier:innen in der Region Bergkarabach droht Hungertod

Dem Hungertod ganz nahe

24.08.2023

Alle Grenzen sind komplett verschlossen. Niemand wird mehr herein- oder herausgelassen. Nicht einmal für die Bereitstellung von Grundlebensmitteln oder medizinischer Versorgung. In dieser Situation befinden sich aktuell 120.000 Armenier:innen in der Enklave Bergkarabach. Seit acht Monaten ist die einzige Zufahrtsstraße, die Armenien mit dieser Region verbindet – der Latschin-Korridor – auf Veranlassung der aserbaidschanischen Regierung geschlossen. Seit Juli dieses Jahres wird nicht einmal mehr internationalen Hilfsorganisationen der Eintritt gewährt, so die Information vom Internationalen Roten Kreuz.

Die Folge: Ein langsames und qualvolles Aushungern der Bevölkerung. Frauen und Kinder leiden besonders unter diesen destruktiven Verhältnissen. So ist unter anderem die Fehlgeburtenrate infolge von Mangelernährung in den letzten Monaten stark gestiegen. Gleichzeitig ist die medizinische Akutversorgung vor Ort enorm eingeschränkt. Der mangelnde Zugang zu Medikamenten stellt für chronisch kranke Menschen eine große Gefahr dar. Mittlerweile hat sich die Situation so weit verschlimmert, dass vor wenigen Tagen ein 40-jähriger Mann an den Folgen von chronischer Unterernährung verstorben ist.[1] Angesichts dieser fatalen Situation hielt der UN-Sicherheitsrat auf Armeniens Antrag hin am 16. August 2023 eine Dringlichkeitssitzung ab. Bislang sind jedoch keine Taten gefolgt. Währenddessen geht es den Menschen in Bergkarabach von Tag zu Tag immer schlechter.

„Für uns im Zentrum ÜBERLEBEN sind solche Leidensgeschichten sehr präsent. Unter unserer Klientel befinden sich auch einige armenischstämmige Patient:innen. Durch den engen Kontakt zu ihnen erleben wir das Leid in dieser Region hautnah mit. Das Zentrum ÜBERLEBEN verurteilt Menschenrechtsverletzungen jeglicher Art und solidarisiert sich mit Opfern von Kriegsgewalt und Krisen“, erklärt Kirstin Reichert, Geschäftsführerin vom Zentrum ÜBERLEBEN.

Der ehemalige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno Ocampo, hat klare Worte für das gefunden, was den Menschen vor Ort aktuell von der aserbaidschanischen Regierung angetan wird: Aushungern sei „die unsichtbare Waffe des Genozids“.[2] Die NGO „Genocide Watch“ hat bereits im September 2022 davor gewarnt, dass Aserbaidschan die Absicht verfolgen könnte, in Bergkarabach einen Völkermord auszuüben.[3]

Für die Armenier:innen ist das umso beängstigender, da sie bereits eine Geschichte haben, die von Vernichtung geprägt ist. Denn das Osmanischen Reich übte im Jahr 1915 einen grausamen Völkermord aus, in dem ca. 1,5 Millionen Armenier:innen und andere christliche Minderheiten ermordet wurden. Der Nachfolgestaat Türkei leugnet bis heute, dass es sich bei den Gräueltaten um einen Völkermord gehandelt hat. Gerade in Anbetracht der fehlenden Anerkennung ist die erneute genozidale Gewalt, die in Bergkarabach auf die Menschen ausgeübt wird, psychisch eine umso größere kollektive Belastung für Armenier:innen in der Region und der ganzen Welt.

Schon jetzt ist die Lage für die Menschen in Bergkarabach sowohl körperlich als auch psychisch desaströs. Es sind umgehende internationale Interventionen erforderlich, um eine humanitäre Katastrophe noch größeren Ausmaßes zu verhindern.

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Quellen:

[1] Nd-aktuell, Melanie M. Klimmer (18.08.2023): https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175633.aserbaidschan-bergkarabach-genozid-im-kaukasus.html

[2] Expert Opinion, Luis Moreno Ocampo (07.08.2023): https://luismorenoocampo.com/wp-content/uploads/2023/08/Armenia-Report-Expert-Opinion.pdf

[3] Genocide Watch (September 2022): https://www.genocidewatch.com/_files/ugd/09ea84_6a066cb5309c4bb682e4ba443f341b91.pdf