Positionpapier

Für eine entpolarisierte Debatte in der Migrationspolitik

19.2.2025

Voller Bestürzung beobachten wir den aktuellen migrationspolitischen Diskurs, der vor den Bundestagswahlen extrem emotionalisiert und polarisierend geführt wird. Leider wurden von vielen politischen Fraktionen tragische Verbrechen wie die Attentate in München und Aschaffenburg dafür instrumentalisiert, unverhältnismäßige politische Forderungen zu stellen. Diese greifen grundlegende Menschenrechte an und kriminalisieren vulnerable Gruppen.

Menschen, die in ihrer Heimat oder auf der Flucht schwere Traumata erlitten haben, stellen nicht pauschal eine Gefahr für andere Menschen dar. Sie sind keine Kriminellen und verdienen es nicht, infolge der Menschenrechtsverbrechen, die an ihnen verübt wurden, nun selbst kriminalisiert zu werden. Diskurse, die traumatisierte geflüchtete Menschen mit psychischen Erkrankungen per se als Bedrohung abbilden, unterstützen letztlich diejenigen, die Gewalt ausgeübt haben in ihrer Absicht, die Betroffenen zu brechen. Als psychosoziales Zentrum, das sich für ebendiese Betroffenen einsetzt und sie dabei unterstützt, Gewalterfahrungen zu überwinden, beziehen wir als Zentrum ÜBERLEBEN hier ganz klar Stellung. Es darf nicht sein, dass auf Kosten der Schwächsten in unserer Gesellschaft Wahlkampf gemacht wird: Dass migrationspolitische Themen verzerrt dargestellt werden, um Ängste zu schüren und so versucht wird, Wähler:innenstimmen zu gewinnen.

Mit dem Entschließungsantrag der CDU/CSU vom 29.01.2025 haben wir dabei einen neuen Tiefpunkt in der, nach unserer fachlichen Einschätzung, vollkommen fehlgeleiteten migrationspolitischen Debatte erreicht. Maßnahmen wie pauschale Einreiseverbote, Ausweitung der Haft für vollziehbar ausreisepflichtige Personen, die Erweiterung des Ausreisearrests oder der Bundespolizei Befugnisse in Bezug auf Haftbefehle für Ausreisegewahrsam zu übertragen, widersprechen rechtsstaatlichen Prinzipien und stoßen auf tiefgreifende verfassungs-, europa- und völkerrechtliche Bedenken.[1] Das grundgesetzlich geschützte Recht auf Asyl sowie der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der subsidiäre Schutz sind individuelle Rechte, über welche in fairen, rechtsstaatlichen Verfahren zu entscheiden ist. Die Tatsache, dass die AfD betonte, Teile aus dem CDU-Entschließungsantrag seien aus ihren parteipolitischen Positionen kopiert, macht einmal mehr deutlich, wie stark die vermeintliche politische Mitte nach rechts gerückt ist. Demnach überrascht es auch nicht weiter, dass das positive Abstimmungsergebnis nur dank der Unterstützung der AfD möglich wurde – und einen von der CDU wissentlich in Kauf genommenen Fall der Brandmauer darstellt.

Attentate wie die in München und Aschaffenburg sind tragische Ereignisse. Wir sind in Gedanken bei allen Betroffenen sowie ihren Familienangehörigen und drücken ihnen unser tiefstes Bedauern sowie unsere Anteilnahme aus. Das Zentrum ÜBERLEBEN ist gegen jede Form von Gewalt, solidarisiert sich mit Betroffenen und unterstützt Maßnahmen, die ihre körperliche und seelische Rehabilitation fördern. Es ist außerdem essenziell, jetzt alles dafür zu tun, um zu verhindern, dass sich so etwas in Zukunft wiederholt. Es wird an dieser Stelle jedoch nicht die Ursache des Problems beseitigt, indem wir Grenzen schließen und Schutzsuchenden Hilfe verwehren – denn von ihnen geht die Gefahr nicht aus.

„Es gibt keine Zahlen oder Untersuchungen, die belegen, dass zugewanderte Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, eine höhere Gefahr für andere darstellen als gesunde Menschen. Solche Annahmen sind vollkommen fehlgeleitet“, erklärt unsere Geschäftsführerin Kirstin Reichert. „Gleichzeitig möchten wir das Momentum dazu nutzen, darauf hinzuweisen, dass es durchaus eine enorme gesundheitliche Unterversorgung von traumatisierten geflüchteten Menschen gibt. In den letzten Jahren konnten alle psychosozialen Zentren in Deutschland zusammengerechnet nur 3,1 % des Versorgungsbedarfs abdecken.[2] Wir fordern, dass unsere Angebote durch eine Regelfinanzierung abgedeckt werden – nicht, weil unsere Klient:innen eine Gefahr darstellen, sondern weil sie ein unglaubliches Potenzial haben, sich gewinnbringend in unsere Gesellschaft einzugliedern. Diese Potenziale werden mit der aktuell mangelhaften Versorgungslage bei weitem nicht ausgeschöpft. Statt Anknüpfungspunkte zu schaffen, beklagt sich die Politik, warum Asylsuchende sich nicht besser integrieren. Das Problem wird mit Vorschlägen wie Abschottung und Zugangsbarrieren nicht lösungsorientiert angegangen, sondern weiter verschärft.“

Zudem ist mittlerweile ein äußerst verzerrtes Bild darüber entstanden, wie hoch der Anteil unter den Straftaten ist, der von zugewanderten Menschen ausgeübt wird. Die aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamts aus dem Jahr 2023 belegen, dass es sich lediglich bei 8,9 % aller registrierten Tatverdächtigen im Rahmen der Allgemeinkriminalität um zugewanderte Menschen gehandelt hat.[3] Die Zahl der Verdächtigen spiegelt hierbei nicht die tatsächlichen, verurteilten Täter:innen wider, es ist also von einer noch geringeren Zahl auszugehen. Darüber hinaus fallen sämtliche Straftaten hinein, also auch geringfügigere wie bspw. kleinere Ladendiebstähle, und auch Tatverdächtige aus dem EU-Ausland werden in dieser Kategorie erfasst. Die Tatsache, dass rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind, wird hingegen kaum im politischen Diskurs thematisiert. Dabei haben sich im Jahr 2023 ca. 25.660 rechtsextremistische Straftaten ereignet, was umgerechnet mehr als 70 pro Tag sind.[4]

Der Ausgang der anstehenden Wahlen bewegt alle Bürger:innen in Deutschland. Gleichzeitig trägt jede:r unter uns die Verantwortung, sich nicht von rechtspopulistischem Gedankengut und menschenfeindlichen Debatten manipulieren zu lassen. Wir legen allen Bürger:innen nahe: Nutzen Sie Ihre kostbare Stimme und gehen Sie wählen! Für Parteien, die im freiheitlich-demokratischen Sinne handeln und für die die Würde des Menschen mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis.

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Wie fühlen Sie sich angesichts der Wahlprognosen für die Bundestagswahl am kommenden Sonntag? Wir im Zentrum ÜBERLEBEN haben in Anbetracht der Tatsache, dass eine rechtsextreme Partei nach aktuellen Prognosen mehr Stimmen einholt, als die meisten demokratischen Parteien, ein sehr mulmiges Gefühl im Bauch. Natürlich machen wir uns aufgrund der migrationspolitischen Wahlkampfversprechen große Sorgen um die Finanzierungslage der Psychosozialen Zentren in der kommenden Legislaturperiode. Doch den Kopf in den Sand zu stecken ist keine Option. Wir verfolgen unseren Versorgungsauftrag weiter – mit Mut und aller Kraft, die uns zur Verfügung steht.

Doch damit wir unsere psychosoziale und integrative Arbeit krisensicher anbieten können, benötigen wir Ihre Hilfe. Weitere Bundesmittelkürzungen wurden bereits vor Monaten angekündigt und es ist nicht absehbar, dass die künftige Bundesregierung diese Entscheidung revidieren wird. Nur staatlich unabhängige Finanzierungen ermöglichen uns unsere Arbeit nachhaltig planen und absichern zu können. Daher bitten wir Sie zu diesem bedeutsamen Zeitpunkt, uns mit Ihrer Spende zu unterstützen. Jetzt ist Ihre Unterstützung wichtiger denn je.


[1] Regierungserklärung (17.02.2024)

[2] BAfF, Flucht & Gewalt – Psychosozialer Versorgungsbericht Deutschland 2024, S. 72.

[3] Bundeskriminalamt: Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2023. (17.02.2024)

[4] Bundesamt für Verfassungsschutz (13.02.2025).