Maryam*, 25 Jahre, aus dem Iran

Newsletter / Dezember 2019 – Fallgeschichte

Eine Frauenrechtsaktivistin auf der Flucht – die Geschichte unserer Patientin Maryam

Gebrochen, gepeinigt, sexuell bedroht – so hat Maryam* das Gefängnis in Teheran verlassen. Ihr blieb nur die Flucht. In Deutschland landete sie als Geflüchtete mit besonderem Schutzstatus – traumatisiert, essgestört und unfähig, ein normales Leben zu führen. Durch die Therapie im Zentrum ÜBERLEBEN hat sie sich langsam wieder stabilisiert und Perspektiven gewonnen.

Immer wieder wandert Maryam wie ferngesteuert zum Kühlschrank oder zum Schrank, in dem sie Schokolade und Chips in Mengen gehortet hat. Das macht die 25-Jährige willenlos zu jeder Tages- und Nachtzeit. Maryam stopft zwanghaft und ohne Kontrolle alles in sich hinein, was sie zwischen die Finger bekommt. Es sind ihre Über-Lebens-mittel. Seit zwei Jahren leidet die Iranerin an einer Essstörung, unter schweren Schlafstörungen und Panikattacken. Sie kann sich nicht konzentrieren, keinem Gespräch folgen und ist emotional sehr instabil. Maryam hat in den letzten drei Jahren stark zugenommen, ist schwer krank und leidet daran, was ihr in ihrem Heimatland widerfahren ist.

Mit Zivilcourage für Frauenrechte

Die junge Frau ist kaum wiederzuerkennen, wenn man sich drei Jahre alte Fotos anschaut: damals studierte sie an der Universität in Teheran und war politisch engagiert. Sie hatte sich dem Kampf für mehr Frauenrechte verschrieben, nahm als  an Demonstrationen teil und initiierte einen eigenen Blog. Sie wehrte sich gegen staatliche Bevormundung und Einschränkung von Frauen im öffentlichen Raum, im Berufsleben und schrieb über häusliche Gewalt. Sie riskierte viel. Ihr Antrieb für dieses Engagement, mit dem sie persönlich viel aufs Spiel setze, steht mit ihrer eigenen Leidensgeschichte in Zusammenhang: als Kind hatte Maryam unter Gewalt in ihrem Elternhaus gelitten und als junge Frau war sie von einem Mann der Familie vergewaltigt worden.

In der Haft gedemütigt und sexuell bedroht

Doch eines Tages schlug die staatliche Repression zu und es kam schlimmer als befürchtet. Die junge Studentin wurde erst beschattet und dann inhaftiert. In der Untersuchungshaft war sie ohne Schutz den Schikanen und Peinigungen des Gefängnispersonals und ihrer Verhörer ausgeliefert. Sie sollte eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. Maryam wurde erniedrigt, gedemütigt und mit sexueller Gewalt bedroht. Alte Wunden rissen erneut auf und der Schmerz wurde unerträglich. Das hat sich auch nach der Entlassung aus der Haft nicht verändert.

Seitdem versucht sie dieses innere Gefühl mit Essen zu betäuben – seitdem kann sie kein normales Leben mehr führen. Das massive Risiko einer erneuten Inhaftierung zwang die Studentin zur Flucht. Sie brach ihr Studium ab und musste alles, was ihr vertraut war, hinter sich zurücklassen. In Deutschland beantragte die Iranerin Asyl – das ist jetzt zwei Jahre her. Maryam gehört zu der Gruppe Geflüchteter mit besonderem Schutzstatus und fand den Weg ins Zentrum ÜBEERLEBEN.

Langsame Rückkehr ins Leben

Seit neun Monaten macht sie hier eine Therapie, die durch eine geschulte Dolmetscherin direkt übersetzt wird. Nur so ist eine Aufarbeitung ihrer Verfolgungs- und Gewalterfahrung möglich und sie kann langsam neue Verhaltensmuster erlernen und sich regulieren. Die Panik, die durchwachten Nächte, die Essattacken bis zur Übelkeit – peu a peu wird es besser: sie bekommt ihr Leben und ihr Essverhalten wieder unter Kontrolle. Die regelmäßigen Termine mit einer Sozialarbeiterin gehören zum Therapieprozess dazu und sind wichtig, um neue berufliche Wege auszuloten. Jetzt hat sie sich zum Ziel gesetzt, eine gute Journalistin zu werden und sich eines Tages wieder für Menschen- und Frauenrechte in ihrer Heimat einzusetzen – wo auch immer sie lebt. Bald beginnt sie einen Vorbereitungskurs an der Universität und hat den Kontakt mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen aufgenommen. Sie ist dabei, sich zu stabilisieren und kann wieder mit Zuversicht nach vorne blicken.

→ Helfen Sie Patient*innen wie Maryam ihren neuen Lebensweg zu beschreiten – mit einer Spende unter dem Stichwort „ZUE 04-19“.

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*anonymisierte Fallgeschichte
Foto: Beatriz Vera/shutterstock