Weltrechtsprinzip

Weltweit erster Prozess gegen Staatsfolter in Syrien

22.4.2021

Am 23. April.2021 jährt sich der Prozessauftakt zum Al-Khatib-Verfahren. Das erste Verfahren gegen zwei mutmaßliche Folterer des Assad-Regimes findet in Deutschland vor dem Oberlandesgericht Koblenz statt. Oliver Göbel, Sozialarbeiter und ausgebildet in conflict studies, betont, dass dieser Prozess der Aufarbeitung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien weltweit erstmalig ist. Er spürt bei den Betroffenen, die sich im Zentrum ÜBERLEBEN finden, den Wunsch nach seelischer Rehabilitation und das Bedürfnis nach Gerechtigkeit.  

Die systematische und gewaltförmige Unterdrückung der syrischen Bevölkerung durch das Assad-Regime, die vor zehn Jahren den Ausgangspunkt für den bis heute andauernden Bürgerkrieg bildete, erfährt vor einem deutschen Gericht – und damit weltweit erstmalig – eine strafrechtliche Aufarbeitung. Basierend auf dem Weltrechtsprinzip können internationale Verbrechen im Sinne des Völkerstrafgesetzbuchs in Deutschland, unabhängig von Tatort und Nationalität der beteiligten Personen, verfolgt und angeklagt werden. Dabei stehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression im Zentrum der Verhandlung. Internationale Bedeutung erlangte in diesem Zuge bereits der sogenannte Völkermord-Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG ) Frankfurt von 2011 bis 2014. Hier wurde ein ruandischer Staatsbürger wegen seiner Mitwirkung beim Völkermord im Jahr 1994 in Ruanda verurteilt.

Nun jährt sich der Auftakt des sogenannten Al-Khatib-Verfahren vor dem OLG in Koblenz. Die Anklage richtet sich gegen zwei ehemalige Mitarbeiter des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes, die in Deutschland Asyl suchten und leben. Einer der Angeklagten wurde bereits im Februar wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil gegen Anwar R., einstiger Leiter der sogenannten Ermittlungsabteilung Al-Khatib in einer Haftanstalt in Damaskus, wird Ende des Jahres erwartet. Ihm wird vorgeworfen, für die Mittäterschaft in mindestens 4.000 Fällen von Folter, 58-fachen Mord und einzelne Fälle sexueller Nötigung und Vergewaltigung verantwortlich zu sein.

Der European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat von Beginn an einen maßgeblichen Beitrag für die völkerstrafrechtliche Aufarbeitung der genannten Verbrechen geleistet. Die Menschenrechtsorganisation hat durch Zeugeninterviews und Strafanzeigen gegen hochrangige syrische Regime-Mitglieder die Anklage vor dem OLG mit ermöglicht. Das ECCHR dokumentiert Aussagen von Folterüberlebenden aus Syrien und unterstützt diese Zeug*innen, die im Al-Khatib-Verfahren eine große Bedeutung haben. Im Rahmen der Kooperation zwischen dem Zentrum ÜBERLEBEN (ZÜ) und dem ECCHR bietet Dr. Sabrina Schmelzle, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, den Mitarbeiter*innen des ECCHR Fortbildung und Supervision an. Das Ziel ist dabei, für Symptome von Stress zu sensibilisieren, eine Re-Traumatisierung zu vermeiden und einen Erfahrungsaustausch zwischen Zeug*innen, Jurist*innen und Therapeut*innen zu ermöglichen (ausführlich in „Gegen Ohnmacht und Unrecht“). Der ECCHR verweist im Bedarfsfall Zeug*innen an das ZÜ und im Idealfall wird dann unterstützend beraten und geklärt, ob sich eine psychotherapeutische Behandlung anschließen sollte. Vor diesem Hintergrund ist auch die Kooperation des Zentrum ÜBERLEBEN mit dem ECCHR zu verstehen.

Viele der Menschen, die im ZÜ unterstützt werden, eint der Wunsch nach seelischer Rehabilitation und darüber hinaus das Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Und der Hoffnung, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesehen, anerkannt und geahndet werden.

Unter diesen Links finden Sie eine Pressemitteilung sowie ein Interview mit Dr. Sabrina Schmelzle zum Syrien-Prozess in Koblenz.

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