Interview

Ein Sprachrohr für die innerste Gefühlswelt

30.9.2024

Ohne Sprachmittlung ist im Zentrum ÜBERLEBEN kaum ein Angebot möglich. Ob einzel- oder gruppentherapeutisch, Sprach- und Kulturmittler:innen begleiten Patient:innen und Psychotherapeut:innen in fast jeder Sitzung. Fariba*, eine bei uns aktive Sprachmittlerin, berichtet über ihre Tätigkeit – über den praktischen Ablauf einer Sitzung zu dritt, Bedürfnisse von Nähe und Distanz sowie ihre Motivation, sich in einem durchaus thematisch belasteten Bereich zu engagieren. Fariba dolmetscht bereits seit vielen Jahren im Zentrum ÜBERLEBEN und ist mittlerweile in unserer ambulanten Abteilung für Erwachsene als Sprachmittlerin angestellt.

Liebe Fariba, wann und wie bist Du zum Zentrum ÜBERLEBEN (ZÜ) gekommen?

Fariba: Das war 2007, also schon vor einer ganzen Weile. Eine Freundin fragte mich damals, ob ich nicht Lust hätte sie ab und an zu vertreten, weil sie nicht alle ihr angebotenen Termine wahrnehmen konnte. Ich war gar nicht unbedingt auf der Suche nach einer neuen Tätigkeit, aber ich war sehr neugierig. So kam ich zu den ersten Einsätzen im Wohnverbund für Migrantinnen. Schon bald wurde ich regelmäßig gebucht und in den Pool der Sprach- und Kulturmittler:innen (SKM) aufgenommen.

Wie setzt sich dieser Pool zusammen?

Fariba: Als ich anfing, waren wir keine zehn Leute. Für die Sprachen Farsi und Dari waren wir zu dritt, daneben gab es SKM für Arabisch, Türkisch, Russisch und weitere osteuropäische Sprachen. Heute sind wir rund 50 SKM, die mehr als 30 Sprachen abdecken.

Was hat Dich bewegt, diese durchaus herausfordernde Tätigkeit zu Deinem Beruf zu machen?

Fariba: Durch mein Vermitteln kann ich helfen, Leid und Schmerz der Menschen zu lindern, die sich in der deutschen Sprache noch nicht so gut zurecht finden, aber dennoch akut gesprächstherapeutische Hilfe benötigen. Das finde ich nach wie vor sehr bereichernd. Außerdem weiß ich wie es ist, sein Land verlassen zu müssen. Und wie wertvoll Menschen sind, die einen willkommen heißen, die einfach helfen und Sicherheit geben. Zudem fand ich das Zentrum sehr interessant als Ort, an dem Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen zusammenkommen und von so vielen Professionen gemeinsam unterstützt werden.

Und wie ist es für Dich hier zu arbeiten?

Fariba: Nach all den Jahren immer noch spannend. Ich habe zahlreiche Therapien begleitet und dabei auch viel über mich selbst gelernt. Das Dolmetschen an sich ist sehr lebendig und nah an den einzelnen Personen. Wir übersetzen in der Ich-Form die innerste Gefühlswelt von traumatisch verletzten Menschen, das ist sehr intensiv und oft auch herausfordernd. Manche Geschichten sind unfassbar grausam. Da bleibt es nicht aus, dass man manchmal selbst emotional überwältigt ist – bei aller professionellen Distanz, die wir einnehmen.

Was hilft Dir dabei all diese Geschichten nicht zu nah an Dich heran zu lassen?

Fariba: Jeder Einsatz wird mit der:dem Therapeut:in nachbesprochen und es gibt immer die Möglichkeit, Supervision in Anspruch zu nehmen und sich mit den anderen SKM auszutauschen. Zudem trete ich während des Übersetzens als Person in den Hintergrund. Ich konzentriere mich darauf, Sprachrohr und Übermittlerin zu sein, nur das Gesagte zu übertragen und nicht in (Blick-)Kontakt mit der:dem Patient:in zu treten. Das gelingt meistens, wenn auch nicht immer. Ganz selten braucht es eine kurze Pause, um im Gespräch fortfahren zu können, zum Beispiel, wenn sich Parallelen zu eigenen Erfahrungen auftun.

Wie kann man sich die Gesprächssituation ganz praktisch vorstellen?

Fariba: Egal ob in der Gruppentherapie oder im Einzelsetting, als SKM agiere ich auf Distanz. In der Gruppe sitze ich tatsächlich mit etwas Abstand hinter den jeweiligen Menschen im Gesprächskreis. Im Einzelsetting sind wir im Dreieck angeordnet, sodass für den:die Patient:in klar ist, dass der:die Therapeut:in die verantwortliche Person im Gespräch ist. Auf diese Weise bin ich aus dem Geschehen herausgenommen und kann mich auch innerlich besser distanzieren. Der Gesprächsfluss ist aber natürlich anders, als man es gewohnt ist. Nachdem jemand etwas gesagt hat, übersetze ich in die jeweils andere Sprache. In der Gruppe passiert das gleichzeitig auf mehreren Sprachen. Dadurch müssen die Beteiligten immer kurz abwarten, bevor sie einander antworten oder aufeinander reagieren können. Aber daran gewöhnen sich alle ganz schnell.

Bauen die Patient:innen eigentlich eine persönliche Bindung zu Dir auf?

Fariba: Der Wunsch nach persönlichem Kontakt ist seitens der Patient:innen eigentlich immer da. Denn da ist jemand, der ihre Sprache spricht, sie auch sonst versteht und sehr persönliche Dinge über ihre eigene Geschichte erfährt. Das hat ja auch viel mit Nähe und Vertrauen zu tun. Ich mache aber von Anfang an ganz deutlich, dass ich rein beruflich für sie da bin und es Grenzen gibt. Wenn jemand diese Grenzen nicht wahrt, wende ich mich an den:die Therapeut:in, der:die dann transparent das Gespräch mit der Person sucht.

Vielen Dank für diesen anschaulichen Einblick in Deine Arbeit!

Fariba: Sehr gern!

*Anonymisierung: Auf dem Foto zu sehen sind Sprach- und Kulturmittlerin Fariba* und Fundraiserin Verena Schoke im Gespräch. Auch unsere Sprach- und Kulturmittler:innen haben z.T. noch Repressalien aus ihren Herkunftsländern zu befürchten. Wir schützen unsere Interviewgeberin durch die Anonymisierung ihres Bildes und der Persönlichkeitsdaten.

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Das Projekt ‚Integrierte Versorgung traumatisierter Geflüchteter‘ wird gefördert von der Lotto Stiftung Berlin. Diese Förderung finanziert die psychosoziale Arbeit der ambulanten Abteilung für Erwachsene im Zentrum ÜBERLEBEN, in der auch Fariba als Sprach- und Kulturmittlerin tätig ist.