Frauen in Afghanistan

Entrechtet und in die Unsichtbarkeit gedrängt

25.11.2024

Afghanistan ist das Herkunftsland aus dem wir momentan die meisten Patient:innen bei uns im Zentrum ÜBERLEBEN behandeln. Insbesondere seit der Machtübernahme der Taliban vor etwa drei Jahren hat die Menschenrechtssituation vor Ort katastrophale Verhältnisse angenommen. Darunter leidet die gesamte Bevölkerung, zu den größten Leidtragenden zählen aber mit Abstand Frauen und Mädchen in Afghanistan.

Stellen Sie sich vor, Ihnen ist Zuhause die Milch ausgegangen und Sie benötigen dringend Nachschub zum Kochen. Ein schneller Gang zum Supermarkt um die Ecke sollte das Problem in kürzester Zeit lösen. Doch leider können Sie nicht einfach zum Supermarkt huschen, weil keine männlichen Familienangehörigen Zuhause sind, um Sie zu begleiten. Und selbst wenn ein Mann da wäre und Sie gemeinsam einkaufen gehen würden, müssten Sie sich vorher komplett verschleiern, sodass man nicht mal mehr Ihr Gesicht erkennt. Im Supermarkt müssten Sie den Blick permanent gesenkt halten, weil Sie sonst riskieren, einem anderen Mann zufällig in die Augen zu blicken. Das wäre ein Gesetzesverstoß. Die ganze Zeit über dürften Sie auch kein Wort sprechen, egal was um Sie herum passiert.

Dieses groteske Szenario ist die traurige Realität für sämtliche Frauen in Afghanistan – also um die 20 Millionen Menschen. Es handelt sich hierbei um viel mehr als geschlechtsbasierte Ungleichheiten, die auch so schon einen Einschnitt in die Rechte von Frauen darstellen. In Afghanistan geht das Taliban-Regime noch einen drastischen Schritt weiter und setzt mit seinem „Tugendgesetz“ eine in den Institutionen und Grundgesetzen verankerte Diskriminierung gegen alle Frauen um. Es handelt sich somit um aktiv herbeigeführte und praktizierte Geschlechter-Apartheit.

„Unsere Klientinnen berichten uns immer wieder von systematischen Menschenrechtsverletzungen, die sie sowie andere Frauen und Mädchen in Afghanistan betreffen“, berichtet Nora Sgraja, Sozialarbeiterin im Wohnverbund für Migrantinnen. „Unsere Arbeit zeigt deutlich, wie gravierend die psychischen Auswirkungen solcher Unterdrückung sind. In den psychosozialen Gesprächen schildern die Klientinnen uns Gefühle von Sorge, Trauer und Ohnmacht, angesichts der verheerenden Lage vor Ort. Diese emotionalen Belastungen sind häufig auch von Überforderung geprägt: Trotz der scheinbaren Aussichtslosigkeit versuchen sie verzweifelt, ihren Angehörigen und Bekannten aus der prekären Notlage zu helfen. Die sich täglich verschlechternde Frauenrechtslage in Afghanistan macht die wachsenden Repressionen und Gefahren für Frauen und Mädchen unter der Herrschaft der Taliban überdeutlich. Dies und das Gefühl, eine zeitgleich schleichende Gewinnung an internationaler Akzeptanz der Taliban ausmachen zu können, wirkt für die Frauen zusätzlich belastend und bedrohend.“

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat vor wenigen Monaten die Entscheidung getroffen, dass ab sofort alle geflüchteten Frauen aus Afghanistan ein Recht auf Asyl in der EU haben. Es ist somit keine Einzelfallentscheidung mehr erforderlich. Die afghanische Staatsangehörigkeit sowie eine Frau zu sein, genügen, um in allen EU-Staaten ein Recht auf Asyl zu haben. Dies war eine längst fällige Entscheidung, um Frauen in Afghanistan gegen die systematische Verfolgung und Vorenthaltung ihrer Rechte zu schützen.

Im nächsten Schritt ist es zwingend notwendig, dass internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen sowie nationale Regierungen offiziell die Situation der Frauen in Afghanistan als Geschlechter-Apartheit einstufen und damit ein eindeutiges Signal gegen das Taliban-Regime setzen.

Die Lebensumstände für diese Frauen sind höchst traumatisierend und stellen auf psychischer Ebene ein Belastungsmaximum dar. Im Zentrum ÜBERLEBEN bieten wir jenen, die es geschafft haben zu fliehen, die psychosoziale Unterstützung an, die es braucht, um das Vergangene zu verarbeiten. Zugleich solidarisieren wir uns mit allen Frauen in Afghanistan, die aufgrund ihres Geschlechts diesen massiven Repressalien ausgesetzt sind!

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