Interview

Nicht mehr allein – die Gruppentherapie

30.9.2024

Oftmals stellen wir Ihnen Menschen vor, die wir einzeltherapeutisch in unseren klinischen Abteilungen versorgen. Heute möchten wir Ihnen einen Einblick in das besondere Behandlungskonzept unserer Tagesklinik geben. Hier finden die meisten Gespräche und Angebote in der Gruppe statt. Wie das funktioniert, haben wir Loretta Sundmacher gefragt, psychologische Psychotherapeutin im Team der Tagesklinik.

Liebe Loretta, welchen Stellenwert hat die Gruppentherapie in Eurem Behandlungskonzept?

Unsere Patient:innen haben nur ein- bis zweimal in der Woche ein psychotherapeutisches Einzelgespräch, in der restlichen Zeit finden alle therapeutischen Angebote in einer festen Gruppe statt. Damit ist die Gruppentherapie der zentrale Baustein unserer Arbeit.

Und welche Funktion erfüllt sie?

Menschen, die bei uns Hilfe suchen, leiden oft an einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung. Eines der Kernsymptome besteht in einer gestörten Beziehungsgestaltung. Viele unserer Patient:innen verlassen kaum mehr die Wohnunterkunft, weil ihre Ängste und das Misstrauen gegenüber ihren Mitmenschen sie massiv daran hindern. Unser Ziel ist es, sie aus diesem inneren und äußeren Rückzug herauszuholen und wieder lebensfähig zu machen. In der Gruppe lernen sie Kontakte zu knüpfen, sozial zu interagieren und auch mal Konflikte auszuhandeln. Zu erfahren, dass es anderen Menschen ganz genau so geht wie einem selbst, ist zudem enorm erleichternd. Das eigene anders sein wird zu einer ganz normalen Reaktion auf das Erleben einer extremen Belastungssituation.

Geht das denn überhaupt, eine Gruppentherapie mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Sprache?

Oh, das geht sehr gut. Für Außenstehende fallen vermutlich zunächst die Unterschiede ins Auge. Die lassen sich aber mit Hilfe der Sprach- und Kulturmittlung sehr gut überbrücken. Dadurch entsteht ein anderer Gesprächsfluss und eine lautere Gesprächskulisse, was dem inhaltlichen Austausch aber keinen Abbruch tut. Wir behandeln in der Gruppentherapie sehr universelle Themen und psychische Grundbedürfnisse, die für viele Menschen auf der Welt vergleichbar sind. Sich zu öffnen und Trauer, Ängste und persönliche Verletzungen zu teilen, über Erfahrungen zu sprechen und sich damit in seiner Verletzlichkeit zu zeigen und Wertschätzung, Nähe und Verständnis dafür zu erleben – all das eint und hilft, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten und gemeinsam Strategien zur Bewältigung zu entwickeln.

Wie kann man sich so eine Gruppensitzung vorstellen?

In der offenen psychodynamisch interaktionellen Gruppe entwickelt sich das Gespräch frei und an den Bedürfnissen der Patient:innen ausgerichtet. Nach einer kurzen Begrüßung sind die Teilnehmenden eingeladen ihre Themen einzubringen und darüber ins Gespräch zu kommen. Grundsätzlich dürfen alle Themen, Traumata, persönliche Erlebnisse und damit verbundene Gefühle besprochen werden. Nichts davon darf nach außen getragen werden und es muss immer gewährleistet sein, dass alle Gruppenmitglieder das Gesagte aushalten können. Werden dabei individuelle Grenzen überschritten, wird von therapeutischer Seite aus auch mal interveniert. Und manchmal wird in der Gruppe einfach gemeinsam geschwiegen – oder geweint.

Gibt es auch Herausforderungen für Dich bei dieser Arbeit?

Zu Beginn ist es für die Patient:innen herausfordernd sich in der Gruppe zu öffnen und anderen Menschen ihren Schmerz und ihre Schwächen zu zeigen. Aber wenn die erste Hürde genommen ist, empfinden sie es als sehr heilsam. Auch sind viele von ihnen zunächst eher konfliktscheu. In der gemeinsamen Zeit entstehen jedoch zwangsläufig Konflikte, die es auszuhandeln gilt. Das ist ebenfalls ein wichtiger Lernprozess, der den Zusammenhalt der Gruppe durchaus stärkt.
Meine Aufgabe als Therapeutin ist es, alle Personen im Blick zu behalten, darauf zu achten, dass die oft schwierigen Themen und manchmal kontroversen Haltungen für jede:n Einzelne:n aushaltbar sind, die Interaktion untereinander zu fördern, dafür zu sorgen, dass der sichere Rahmen gehalten wird und Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zu markieren. Mitunter geht es auch darum, die Personen mit eigenen blinden Flecken zu konfrontieren. Dadurch, dass es keine vorgegebenen Inhalte gibt, muss man ein stückweit die Kontrolle in der Gesprächsführung abgeben und sich spontan auf Situationen einstellen können. Das alles zusammengenommen ist nicht immer einfach, bedeutet aber auch ein sehr abwechslungsreiches und spannendes Arbeiten, das mir viel Freude bereitet.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was hat Dich bewegt als Therapeutin für das ZÜ zu arbeiten?

Ich hatte das Glück das ZÜ bereits während meines Psychologie-Studiums kennenzulernen. Seither wuchs der Wunsch in mir, Teil dieses Teams zu werden. Denn hier kann ich zweierlei Dinge tun: Unsere Patient:innen in ihren herausfordernden Lebenssituationen dazu befähigen, sich wieder gut in ihrem Leben zurecht zu finden. Und gleichzeitig stärke ich eine Institution, die geflüchtete Menschen in unserer Gesellschaft willkommen heißt und gemeinsam mit ihnen neue Perspektiven erarbeitet. Das empfinde ich als sehr wertvoll und motivierend.

Vielen Dank für diesen anschaulichen Einblick in Eure Arbeit!

Sehr gern!

Infos zur Tagesklinik

Die Tagesklinik kooperiert mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Campus Mitte – Universitätsmedizin Berlin und verfügt über 24 Behandlungsplätze, die sich auf zwei Behandlungstracks verteilen. Im niederschwelligeren und kürzeren Track beträgt die Behandlungsdauer 12 Wochen, während im zweiten Track Menschen mit chronifizierten Verläufen behandelt werden. Hier beträgt die Behandlungsdauer im Schnitt sechs Monate. In der Tagesklinik wird in einem multidisziplinärem Team und mit einer Kombination verschiedener therapeutischer Ansätze behandelt. Die Gruppen sind gemischtgeschlechtlich mit Menschen im Alter von 18 bis über 60 Jahre besetzt. Es sind maximal drei Personen mit derselben Sprache in einer Gruppe vertreten, damit die parallele Übersetzung händelbar bleibt. Zusätzlich gibt es eine offene Nachsorgegruppe, die sich einmal in der Woche trifft.

Die psychosoziale Versorgung von schwer traumatisierten geflüchteten Menschen in der Tagesklinik des Zentrum ÜBERLEBEN wird u.a. gefördert von der UNO-Flüchtlingshilfe.

.


> Anmeldung zum E-Mail-Newsletter

> Anmeldung zum Presseverteiler