Interview zum Tag der Menschenrechte 2022
Recht auf psychosoziale Versorgung: Ohne Sprach- und Kulturmittlung geht es nicht.
7.12.2022
Obwohl die Therapien im Zentrum ÜBERLEBEN ohne die Sprach- und Kulturmittlung nicht möglich wären, müssen die dafür entstehenden Kosten zu weiten Teilen aus Spenden finanziert werden. Sie werden nicht von den Krankenkassen übernommen. Im Interview mit Renate Töpfer (RT) und Leandra Kuhn (LK),Sozialarbeiterinnen im Wohnverbund für Migrantinnen und der Tagesklinik, sprechen wir über die Rolle und Bedeutung der Sprach- und Kulturmittelnden (SKM) in der Arbeit des ZÜ. Sie sind neben ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiterinnen auch Beauftragte für die SKM im Zentrum.
Warum ist eine professionelle Sprach- und Kulturmittlung wichtig und welche Rolle spielt sie im therapeutischen Prozess?
RT: Ganz grundsätzlich trägt die Sprach- und Kulturmittlung entscheidend dazu bei, Zugangsschwellen zu unseren Angeboten herabzusetzen. Der Zugang und die Versorgung der traumatisierten Geflüchteten ohne ausreichende Sprachkenntnisse werden so erst ermöglicht. Es geht eben ausdrücklich nicht nur um die reine sprachliche Übersetzung, sondern auch um die Berücksichtigung soziokultureller Gegebenheiten und Prägungen.
LK: Die präzise Übersetzung ist im therapeutischen Prozess und in der Beratung unabdingbar. Im Aufenthaltsverfahren und anderen behördlichen Angelegenheiten haben falsche Übersetzungen häufig gravierende Folgen, wenn beispielsweise Fluchtgründe falsch übersetzt oder besondere Bedarfe und Gefährdungen nicht erkannt werden.
Und in den Therapiesitzungen können schon kleinste Abweichungen des Erzählten zu Missverständnissen führen. Dabei geht es in der Übersetzung ja auch nicht nur um die genaue Wortwahl, sondern auch darum, wie das Kommunizierte übermittelt wird.
Wie funktioniert die Sprach- und Kulturmittlung während der Sitzungen im ZÜ?
LK: In den Einzelgesprächen befinden wir uns in einem Dreier-Setting, das heißt, Patient:in und Therapeut:in sitzen sich in der Regel gegenüber. Der oder die Sprach- und Kulturmittler:in bildet den äußeren Punkt des Dreiecks. Und dann findet eine möglichst wortnahe Übersetzung in der Ich-Form in beide Richtungen statt. Das erfordert von den SKM natürlich eine hohe Abgrenzungsfähigkeit, schließlich nehmen sie in der Übersetzung gewissermaßen die Position der Geflüchteten ein. Wichtig ist, dass der Kontakt zwischen den Patient:innen und Therapeut:innen immer bestehen bleiben kann, auch während der Übersetzung. Die SKM sind zwar selbstverständlicher Teil des Settings, der Fokus sollte aber auf der Beziehung der anderen beiden Parteien zueinander liegen.
RT: Wir achten darauf, dass es möglichst immer die gleichen SKM sind, die bei den jeweiligen Patient:innen übersetzen. Und hier zeigt sich erneut die schwierige Position der SKM: Natürlich muss es ein gewisses Vertrauensverhältnis zu den hilfesuchenden Menschen geben, allerdings darf dies nicht über das therapeutische Setting hinausgehen. Es ist wichtig, dass SKM und Patient:innen möglichst keinen Kontakt außerhalb dieses Prozesses haben. Auch vermeintliche Kleinigkeiten könnten sich schon auswirken. Auch für die SKM ist dies wichtig, um Grenzen wahren zu können.
LK: Genau. In den Gesprächen geht es um Gefühle, um das eigene Erleben und auch um teilweise unfassbar schlimme Erlebnisse. Sind die SKM nicht empathisch oder stehen in einer engeren Beziehung zu der hilfesuchenden Person, wird es schnell schwierig von solchen Dingen zu erzählen.
Wie läuft es in den Gruppensitzungen?
LK: Hier ist es natürlich um einiges unruhiger. In der Tagesklinik decken wir bis zu fünf Sprachen gleichzeitig pro Gruppe ab. Die SKM müssen da in der Lage sein besonders schnell zu übersetzen, da die Interaktionen in der Gruppe eine höhere Dynamik haben. Teilweise müssen die SKM dann für mehrere gleichsprachige Menschen übermitteln, manchmal auch ganz unterschiedliche Reaktionen.
RT: Dafür ist es inhaltlich in den Gruppen nicht ganz so tiefgehend, wie im Einzelgespräch. Die Patient:innen sind angehalten, bestimmte Dinge in der Gruppe nicht zu besprechen, um andere Teilnehmende nicht zu belasten. Detaillierte Schilderungen von Gewalt werden beispielsweise nicht übersetzt, wenn sie in einer Gruppensitzung geäußert werden.
Welche Rolle spielt die mentale Belastung bei den SKM?
LK: Das ist natürlich ein immer präsentes Thema. Es gibt freiwillige Angebote für Supervision und Fortbildung. Zudem sollten am Ende jeder Sitzung ein paar Minuten bleiben für eine Nachbesprechung. Die SKM haben grundsätzlich auch die Möglichkeit sich von einem Fall zurückzuziehen oder eine Pause einzufordern, sollte die Belastung zu hoch sein. Abgrenzungsfähigkeit, Reflexion und Selbstkenntnis sind dabei wesentliche Punkte, aber auch das Einhalten bestimmter professioneller Regeln und Standards.
RT: Die Position zu wahren als Vermittler:in ist zentral für die mentale Gesundheit. Die SKM sollte eine ganz professionelle Rolle einnehmen und sich nicht als Helfer:in definieren, um eine gewisse Distanz zu wahren. Das gilt nicht nur für therapeutische Sitzungen, sondern auch für Tätigkeiten im Rahmen der Sozialarbeit, also zum Beispiel für die Unterstützung bei Behördengängen. Die SKM erleben hier die täglichen Schwierigkeiten, Hürden und leider auch Diskriminierungen mit, die zusätzliche Belastungsfaktoren sind.
Warum hat das Zentrum ÜBERLEBEN eure Positionen der Beauftragten für Sprach- und Kulturmittlung geschaffen und was sind eure Aufgaben?
RT: Im Prinzip erfüllen Leandra und ich eine Brückenfunktion zwischen dem Zentrum und den SKM. Wir sind einerseits Ansprechpartnerinnen für die Honorarkräfte, aber nicht deren Interessenvertretung. Vielmehr unterstützen wir dabei die Interessen beider Seiten zusammen zu bringen und umzusetzen.
LK: Im Prinzip sind wir in dieser Funktion ebenso Mittelnde, wie die SKM es im therapeutischen Prozess sind.
Welche Ziele sollte es eurer Meinung nach im Bereich der Sprach- und Kulturmittlung als Teil der psychosozialen Versorgung traumatisierter Geflüchteter geben?
LK: Grundsätzlich sollte der menschenrechtlich verbriefte Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für diese Menschen nicht von Zufall, Glück und Spenden abhängig sein. Eine therapeutische Aufarbeitung und Behandlung ist bei erlittenen Traumata sehr häufig nur in der Muttersprache möglich, deshalb muss die Sprach- und Kulturmittlung in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden. Es kann nicht sein, dass Zentren wie unseres das zu weiten Teilen aus Spenden finanzieren müssen und den Betroffenen damit der Zugang zu den ohnehin knappen Plätzen zusätzlich erschwert wird.
RT: Sicherlich wäre es auch sinnvoll, über Qualitätsstandards für SKM in diesem Bereich nachzudenken. Allerdings würden wir dafür plädieren, die zum Teil langjährigen Erfahrungen der SKM im psychosozialen Bereich als Berufserfahrung auch bei den nicht als Dolmetscher:in ausgebildeten SKM anzuerkennen. Die Arbeit des Zentrums wäre ohne diese Sprach- und Kulturmittler:innen nicht möglich.
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