Das Peer-Projekt

Empowerment als Peer-Berater:in und Klient:in

Im Gesundheitswesen besteht eine Versorgungslücke, wenn es um kultursensible Angebote für geflüchtete Menschen geht. Das Peer-Projekt vom Zentrum ÜBERLEBEN in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Centra Hamburg wurde eingeführt, um diesem Missstand entgegenzuwirken. Die Idee: Menschen, die selbst einen Flucht- oder Migrationshintergrund haben, durch Fortbildungen zu empowern, anderen geflüchteten Menschen als „Peers“ zu helfen. Gefördert wird das Projekt durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Schulungsleiter Zaid Salloum hat uns im Gespräch mehr über die Fortbildung und seine Eindrücke erzählt.

Lieber Zaid Salloum, was machst du beruflich und wie bist du auf das Peer-Projekt gestoßen?

Aktuell studiere ich Psychologie im Master und arbeite an der FU für ein Projekt, in dem wir psychologische Unterstützung für arabisch- und farsisprechende Menschen in Deutschland anbieten. Über eine Arbeitskollegin hatte ich vom Peer-Projekt gehört und erfahren, dass die Stelle als Schulungsleitung ausgeschrieben war. In dem Moment habe ich keine Sekunde überlegt. Ich wusste direkt: Ja, das will ich machen.

Welche Idee steckt hinter dem Peer-Projekt?

In Deutschland gibt es aktuell ein enormes Versorgungsdefizit, wenn es um die Behandlung von traumatisierten geflüchteten Menschen geht. Zum einen existieren nur wenige Angebote in der Muttersprache von Geflüchteten, außerdem gibt es generell sehr wenige kultursensible Angebote. Leider machen viele Menschen auch Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen. Die Idee des Peer-Projektes ist es, Menschen, die selbst einen Flucht- oder Migrationshintergrund haben, das nötige Wissen an die Hand zu geben, damit sie als Peers andere hilfsbedürftige Geflüchtete unterstützen können. Der Vorteil ist hier, dass sie kulturell ein viel tiefergehendes Verständnis für die Bedürfnisse von geflüchteten Menschen haben, je nach Hintergrund sogar die Muttersprache selbst fließend beherrschen. Das schafft eine ganz andere Ebene der Vertrautheit und eine starke Basis für den Kontakt.

Die Schulung fand insgesamt über vier Monate hinweg, von November 2023 bis März 2024, an etwa jedem zweiten Wochenende statt. Welche Inhalte habt ihr konkret behandelt?

Zum Start haben wir uns erstmal grundlegend mit der Frage auseinandergesetzt, was Peer-Beratung überhaupt ist. Dann sind wir intensiv auf das Thema Traumata eingegangen. Dabei haben wir Aspekte wie Traumafolgestörungen erklärt und zusammen erarbeitet, worauf man bei traumasensibler Gesprächsführung achten muss. Wir haben uns darüber hinaus mit vielen weiteren Themen beschäftigt, wie der Umgang mit herausfordernden Situationen und die verschiedenen Formen von Diskriminierung, die nachweislich auch krank machen. Bei der Wissensvermittlung war es uns wichtig, eine Mischung aus Theorie und Praxis anzuwenden. Wir haben zum Beispiel durch Rollenspiele verschiedene Situationen im Umgang mit Klient:innen geübt. Was kann ich in einem Beratungsgespräch tun, um Klient:innen zu signalisieren, dass ich aufmerksam zuhöre und Verständnis für die Situation empfinde? Wie schaffe ich einen Raum, in dem sie sich wohlfühlen und öffnen können? In den Rollenspielen konnten die Teilnehmenden Techniken üben, um diese Punkte umzusetzen.

Wie genau kann man sich Maßnahmen wie die Rollenspiele vorstellen?

Die Rollenspiele fanden in Dreiergruppen statt, mit einer beratenden Position, einer zweiten Person, welche die Klient:innenrolle eingenommen hatte und einem:einer Beobachter:in. Wir haben bestimmte Situationen vorgegeben und die Teilnehmenden sollten dann die erlernten Gesprächsführungstechniken anwenden. Die Beobachter:innenrolle war uns sehr wichtig, weil man viel mehr sieht, wenn man sich von außen auf das Gespräch konzentriert, bewusst darauf achtet, was gesagt wird, die Mimik und Körpersprache sowie die Atmosphäre generell analysiert. Davon kann man sehr viel lernen und auch den anderen beiden ein konkreteres Feedback spiegeln.

Da die Peers einen viel engeren Bezug zu den Belastungsfaktoren der Klient:innen haben, ist die persönliche Abgrenzung oft auch schwieriger. Habt ihr sie auf diese Herausforderung vorbereitet?

Tatsächlich haben wir einen ganzen inhaltlichen Block zur Selbstfürsorge durchgeführt. Zusätzlich haben wir uns mit Aspekten wie sekundäre Traumata und Mitgefühlsmüdigkeit beschäftigt. Ein sekundäres Trauma tritt bei Personen häufig auf, wenn sie sehr viel mit traumatisierten Menschen arbeiten. Durch das enge Miterleben der traumatischen Erfahrungen kann sich das Weltbild der helfenden Person verändern und sehr negativ belastet werden. Es können sogar Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung auftreten. Bei der Mitgefühlsmüdigkeit ist die Fähigkeit, Empathie zu empfinden durch die Arbeitsintensität so ausgelastet, dass man sich irgendwann emotional abgestumpft fühlt und kein tieferes Mitgefühl mehr empfinden kann.

Es ist unglaublich wichtig, über diese Phänomene zu informieren, sonst denken davon Betroffene fälschlicherweise, sie wären nicht mehr dazu fähig, ihren Job gut auszuüben. Dabei hat es nichts mit ihnen persönlich zu tun, sondern es ist ein nachgewiesener Effekt bei Überlastung und kann behandelt werden.

Was hat dir persönlich als Schulungsleiter besonders an der Peer-Fortbildung gefallen?

Für mich war mit Abstand die größte Bereicherung, die Teilnehmenden, die aus vielen verschiedenen Regionen kommen und sehr diverse wertvolle Erfahrungen mit sich bringen, kennenzulernen und von ihnen und diesen Erfahrungen zu lernen. Die meisten von ihnen arbeiten bereits im psychosozialen Bereich oder haben schon in einem anderen Rahmen Beratungsfunktionen ausgeübt und ein großes Interesse für das Thema. Entsprechend konnten wir hier alle sehr viel voneinander lernen. Wir haben zum Beispiel zusammen einen „Skills-Koffer“ erstellt. Das bedeutet, dass wir für gewöhnlich die Sitzung damit abgeschlossen haben, dass ein:e Schulungsleiter:in oder ein:e Teilnehmende:r ein Skill vorgestellt hat. Das kann zum Beispiel eine Atem- oder Entspannungsübung sein. Einmal hat ein Teilnehmender auch Einblicke aus der Kunsttherapie mit uns geteilt, ein anderes Mal sind wir auf eine imaginäre Reise gegangen. Es war immer sehr schön, den Tag auf diese Art und Weise abzurunden und durch den Erfahrungsaustausch etwas Neues zu lernen.

„Die Schulung hat mir nicht nur die Türen dahingehend geöffnet, für Menschen mit einer deutschen Sprachbarriere ein offenes Ohr zu haben und ihnen ein wenig Erleichterung in ihren schweren Zeiten zu schenken, aber mir auch gezeigt, wie komplex mentale Zustände sein können.“
– Feedback einer Teilnehmenden

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Das Projekt „Weiterentwicklung und Dissemination eines Peer-gestützten Ansatzes zur nachhaltigen psychosozialen Unterstützung traumatisierter Geflüchteter“ wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und wird in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Centra Hamburg umgesetzt.

Mehr Informationen zu den Fortbildungsangeboten des Zentrum ÜBERLEBEN

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* Titelbild: Symbobild

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