Jahresbericht 2022/2023

„Sanakun bikhayr“

Sexualisierte Gewalt überwinden

Was ist sexualisierte Gewalt und warum spricht niemand darüber? Welche Auswirkungen hat die Tabuisierung auf betroffene Frauen? Die Wissenschaftliche Abteilung im Zentrum ÜBERLEBEN arbeitet seit nun über zehn Jahren mit dem internetbasierten Therapieprojekt „Ilajnafsy“ im arabischsprachigen Raum. Im Jahr 2022 ging im Rahmen vom Ilajnafsy-Projekt ein neues Programm online, um Frauen zu unterstützen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Rayan El-Haj-Mohamad, Psychologin in der Wissenschaftlichen Abteilung, hat maßgeblich an diesem neuen Programm mitgewirkt und uns ein paar Fragen dazu beantwortet.

Wie heißt das neue Angebot der Wissenschaftlichen Abteilung und wie seid ihr auf den Titel gekommen?
Das Angebot haben wir „Sanakun bikhayr“ genannt, was ins Deutsche übersetzt „uns wird es gut gehen“ bedeutet. Der Name drückt etwas sehr Wichtiges aus: Das „uns“ soll verdeutlichen, dass die Frauen nicht allein sind und gemeinsam mit anderen Menschen einen Weg finden können, mit dem, was sie erlebt haben, umzugehen. Außerdem spiegelt der Name den Überlebenswillen wider, den die Frauen in sich tragen und signalisiert Hoffnung. Dadurch möchten wir verdeutlichen, dass die Verarbeitung ein Prozess oder Weg ist, der gemeinsam gegangen werden kann.

Was genau beinhaltet „Sanakun bikhayr“? Kannst du uns das Programm bitte genauer beschreiben?
Sehr gerne. Seit September letzten Jahres können sich arabischsprachige Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben und Hilfe zum Umgang damit suchen, in unserem Online-Programm registrieren. Dort haben sie die Möglichkeit, zwischen zwei Optionen zu wählen. Entweder sie bearbeiten die psychoedukativen Inhalte selbstständig oder sie entscheiden sich dafür, online in einer kleinen Gruppe und unter Moderation die Inhalte zu besprechen. Bei beiden Optionen gibt es insgesamt acht Themen zur Bearbeitung, jede Woche werden zwei Themen freigeschaltet bzw. online besprochen. Hier ist nochmal wichtig zu erwähnen: Es handelt sich bei dem Programm nicht um ein therapeutisches, sondern um ein psychoedukatives Angebot.

Psychoedukatives Angebot – was bedeutet das?
Das bedeutet, dass wir Informationen über beispielsweise Angst, Schuld, Scham, Körperbild aber auch Kraftquellen vermitteln. Das Ziel ist es, Wissen und Verständnis über sexualisierte Gewalt, die Folgen und den Umgang weiterzugeben, um die Frauen zu befähigen und zu ermutigen, sich damit auseinanderzusetzen. Sexualisierte Gewalt ist leider nach wie vor ein stark stigmatisiertes und tabuisiertes Thema. Durch unser Angebot sollen betroffene Frauen verstehen, dass sie damit keinesfalls allein sind.

Was sind eure ersten Erfahrungen mit dem Programm und habt ihr schon Feedback dazu erhalten?
Für uns hat sich bestätigt, dass von Seiten der Frauen ein hoher Bedarf vorhanden ist. Besonders für arabischsprachige Menschen gibt es sehr wenige Angebote dieser Art – das haben auch die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen belegt. Unsere Auswertung hat gezeigt, dass die Inhalte sehr positiv aufgenommen werden. So sagt eine der Teilnehmerinnen: „Diese Unterstützung und Sensibilisierung für dieses Thema ist für mich sehr wichtig, als eines der Opfer dieser Gewalt hoffe ich, dass es auch eine Möglichkeit geben wird, dies mit Menschen unter 18 Jahren zu teilen… Vielen Dank für all die Mühe“.

Wie sehen deiner Meinung nach die nächsten Schritte für dieses Projekt aus?
Wir müssen unbedingt weiterhin aktiv auf unser Angebot aufmerksam machen, sodass wir mehr Betroffene erreichen. Zusätzlich gilt es, mit einzelnen Nutzerinnen ins Gespräch zu kommen, um herauszufinden, wie es ihnen während der Bearbeitung der Inhalte ging und welche weiteren Themen ihrer Meinung nach wichtig sind. Das Programm richtet sich außerdem ausschließlich an arabischsprachige Frauen. Wir wissen aber, dass nicht nur Frauen und Mädchen, sondern auch Männer und Jungen von sexualisierter Gewalt betroffen sein können. Für diese Gruppen von Betroffenen gibt es noch seltener Angebote. Ein weiterer Schritt sollte daher sein, unser Programm auch für diese Zielgruppe weiter auszubauen. Gerade über männliche Betroffenheit wissen wir sehr wenig – das wollen wir ändern.

Sanakun Bikhayr ist ein Teilprojekt des Ilajnafsy-Projekts. Das Projekt wird durch MISEREOR und das BMZ gefördert.

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30.8.2024