„Schritt für Schritt“
in eine gesündere Zukunft

Ein Beitrag von Hannah Krunke, psychologische Psychotherapeutin.

Schritt für Schritt,
adım adım“ (türkisch),
„خطوة بخطوة “ (arabisch: Qutwa bequtwa),
„Hêdî hêdî“ (kurmanji/ kurdisch),*

ist eine meiner wahrscheinlich häufigsten aber vielleicht auch wichtigsten Aussagen in der Psychotraumatherapie der vielfach schwertraumatisierten Patient*innen im Zentrum ÜBERLEBEN.

Die meisten unserer Patient*innen haben ein sogenanntes man-made Typ 2 Trauma erlitten.
Hierbei wird zum einen unterschieden zwischen einem akzidentiellen, also einem zufällig aufgetretenem Trauma, wie zum Beispiel einem Verkehrsunfall, einer Naturkatastrophe oder einer Erkrankung. Dem steht ein durch den Menschen verursachtes (man-made) Trauma gegenüber, was beispielsweise eine Vergewaltigung, erlebte Folter, Kriegserleben, Geiselhaft sowie jegliche Form der körperlichen, psychischen und/ oder sexuellen Gewalt die Menschen an anderen Menschen ausüben, beschreibt.

Zudem unterscheiden wir zwischen einem Typ 1 (einmalig auftretend) und einem Typ 2 (wiederholt, langandauernd) Trauma. Unsere Forschungsabteilung hat festgestellt, dass die Menschen, die in unser Zentrum kommen, durchschnittlich elf Traumata direkt erlebt oder direkt bezeugt haben und somit wiederholt, langanhaltend, komplex traumatisiert sind. Hierbei kommen teils schon in der Kindheit beginnender Missbrauch und/oder Misshandlungen sowie spätere Formen von Verfolgung und Gewalt, Kriegsereignisse sowie lebensbedrohliche Erfahrungen auf der Flucht zusammen.

Ein Beispiel dafür wäre jemand, der sein Heimatland aufgrund erlebter Verfolgung und Gewalt verlassen musste und dann auf der Flucht auf einem überfüllten Flüchtlingsboot in Seenot gerät.
Das alles ist ein Berg von schwerwiegenden Gefühlen, Erinnerungen, Gedanken aber auch körperlichen Zuständen, die in „normaler“ Reaktion krank machen können. Die Bewältigung dessen sorgt für Überforderung – sie ist beängstigend und macht hilflos. Im Erleben der Patient*innen kommt oft alles zusammen: Durch einen Gedanken, Gerüche, ein Geräusch, ein in der Umgebung wahrgenommenes Detail oder eine Körperempfindung werden häufig unkontrollierbare, schmerzvolle und sehr lebhafte Erinnerungen ausgelöst, die wiederrum andere schlimme Bilder hervorrufen.

In der gemeinsamen Therapie geht es somit auch darum, Ordnung zu schaffen.
Gemeinsam mit unseren Patient*innen stehen wir am Fuße eines unüberwindbar anmutenden Berges. Ein steiniger Weg gesäumt von scheinbar unüberwindbarem Schmerz, den es „Schritt für Schritt“ in ertragbarere, kontrollierbarere und somit überwindbare Etappen aufzuteilen gilt.

Wir unterstützen dabei, diesen Berg zu „erklimmen“ und ihn so auch ein Stück weit hinter sich lassen zu können. Eventuell wird sogar ein Blick auf einen dahinterliegenden schönen Horizont möglich, der in der Zukunft erreicht werden könnte.

„Schritt für Schritt“ ist aber auch unser Motto im Umgang mit der Covid19-Pandemie.
Auch wir im Zentrum ÜBERLEBEN mussten und müssen viele Berge an Herausforderungen „erklimmen“. Insbesondere angesichts der Wohn- aber auch Gesundheitssituation unserer Patient*innen nehmen wir den Schutz aller, die uns im Zentrum aufsuchen, sehr ernst. Glücklicherweise hat unser Kollegium vor Ort größtenteils bereits vollen Impfschutz oder ist auf dem besten Wege dorthin. Dank des guten Wetters können wir uns seit einiger Zeit wieder unsere Camping-Stühle unter den Arm klemmen und therapeutische Gespräche draußen im Grünen durchführen.

Nach anderthalb Jahren sind wir in der ambulanten Abteilung für Erwachsene erstmals wieder zu Team- und Supervisionssitzungen vor Ort zusammengekommen und freuen uns über die Qualität des direkten Austausches. Zudem stehen nun endlich Aktivitäten und Ausflüge für unsere Patient*innen an, aus denen sie so viel Energie und Kraft schöpfen können. Darunter unsere Kinderreise, die wie so viele andere Angebote im letzten Jahr pandemiebedingt ausfallen musste und dieses Jahr voller Vorfreude angetreten wurde.

So gehen wir den Weg durch die pandemische Zeit – Schritt für Schritt und Seite an Seite.

* Diese drei Sprachen stehen exemplarisch für die über 30 Sprachen, die im Zentrum ÜBERLEBEN gesprochen werden. Unsere Patient*innen und Klient*innen stammen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen. Damit sie sich verständigen können und vor ihrem kulturellen Hintergrund verstanden wissen, begleitet unser Team an Sprach- und Kulturmittler*innen die Therapien und Angebote im Zentrum.

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23.08.2021