Stellungnahme Jobturbo

Erfahrungen aus der Praxis

24.5.2024

Im Rahmen des Projektes Bridge- Berliner Netzwerk für Bleiberecht, haben wir den Auftrag Personen mit unsicheren Aufenthalt in Arbeit, Ausbildung und Schule zu vermitteln und deren Bleibeperspektive dadurch nachhaltig zu verbessern. Die Erfahrungen der Mitarbeiter:innen aus dem Bridge-Netzwerk mit dem Jobturbo werden anbei zusammengefasst:

Unklarheit und Unwissen über tatsächliche Umsetzung des Jobturbos

Es wird berichtet, dass viel Unklarheit besteht, wie denn der Jobturbo genau umgesetzt wird. Es bestehen große Hemmnisse bei Betroffenen sich auf einen Jobturbo einzulassen, da die Sorge sehr groß ist in den niedrigqualifizierten Jobs „hängen“ zu bleiben. Erfahrungen wurde gemacht bei Ukrainer:innen mit teilweise mehreren hochqualifizierten Abschlüssen, die durch den Jobturbo in niedrigqualifizierte Jobs vermittelt werden da mit A2 Niveau eine Vermittlung in berufsadäquate hochqualifizierte Berufe nicht erfolgreich ist. Es wurde vom Jobcenter (abgekürzt: JC) kein Konzept oder Berufsplan ausgearbeitet, der eine Weiterqualifizierung oder eine Aussicht auf einen Weg in eine fachadäquate Anstellung aufnimmt. Das Misstrauen von Seiten der Betroffenen gegenüber des Jobturbos ist daher sehr groß. Aufgrund hoher Barrieren bei Betrieben unter B1 bzw. B2 Niveau anzustellen, wird weiterhin eine Verbesserung der Sprachkenntnisse und anschließende Arbeitsaufnahme als sinnvoller betrachtet. Auch von Seiten der Arbeitgeber:innen besteht viel Unklarheit, was Jobturbo bedeutet und warum sie hier mitziehen sollten. Hier bedarf es aus unserer Erfahrung noch viel an Aufklärung/Schulungen.


Keine Prüfung und weniger Stunden im Job-Berufssprachkurs

Der Vorteil in eine Arbeit mit begleitenden Job-Berufssprachkurs (abgekürzt: Job BSK) zu vermitteln gegenüber einer Teilzeitarbeit mit begleitenden Sprachkurs an der Volkshochschule wurde noch nicht erkannt. Hier sind folgende Herausforderungen in der Arbeit beobachtet worden:

Normaler Sprachkurs berufsbegleitend Job BSK
Schichtarbeit: Arbeitgeber war bereit die Schichten zu verschieben, so dass ein Sprachkurs parallel möglich ist (BSK B2) – online Angebot war schnell und flexibel möglich.

Wenige Stunden und keine Prüfung am Ende des Kurses. Lehrkräfte und Jobcoaches müssen sehr flexibel sein (auf Schichtarbeit, Schichtwechsel muss Rücksicht genommen werden) – nicht attraktiv für Lehrkräfte. Herausfordernd Personal für JobBSK zu finden (Gesamtpaket von BAMF finanziert, geringere Stundenanzahl als normaler BSK, keine Sprachprüfung). Zu wenige TN bisher in den Kursen.

Unkomplizierter und leichter Zugang, direkte Ansprechperson, schnelle Rückmeldungen Große bürokratische Hürden bei der Beantragung, keine direkte oder unbekannte Ansprechperson (JC Teams), schwere Erreichbarkeit.


Änderung in der Zusammenarbeit mit JC seit dem Jobturbo

Folgende Veränderungen haben sich seit dem Jobuturbo in Zusammenarbeit mit den JC ergeben: Seit April wurde die Kommunikation mit den JC per Mail komplett eingestellt. Stattdessen wurden Apps zur Verfügung gestellt mit denen man Kontaktaufnahme durchführen soll. Keine Antwort auf Mailanfragen. Kontaktdichte nach Rückmeldungen der Projektteilnehmer:innen nicht erfolgreich. Gleichzeitig wurde auch beobachtet, dass die JC häufiger auf Träger aus unserem Netzwerk zugehen und Kooperationen sowie Kontakt suchen (z.B. Erstellen von Lebensläufen etc.).

Fallbeispiel: Person mit Jahrelanger Berufserfahrung als Anwältin, macht aktuell A2, hat das Ziel bis C1 Deutsch zu lernen, damit sie in einem fachverwandten Beruf arbeiten kann in Zukunft. Die Person wurde von Seiten JC versucht in Fachfremde niedrigqualifizierte Berufe zu vermitteln.


Weitere Kritikpunkte am Jobturbo aus unserer Perspektive:

Benachteiligung von Menschen mit psychischer Erkrankung entgegenwirken

Auf Seite 9 wird beschrieben, dass Personen die den Integrationskurs nicht bestanden haben auch mit geringerem Sprachkenntnis in Arbeit vermittelt werden können. Hier sehen wir große Gefahren, dass besonders psychisch belastete bzw. traumatisierte Personen benachteiligt werden. Bei einer hohen Anzahl an geflüchteten Menschen sind Schlafprobleme und Konzentrationsprobleme als Symptomatik zu beobachten. Das führt häufig zu unregelmäßiger Teilnahme an Kursen und schließlich zum Abbruch. Diese belasteten Personen werden häufig nicht gesehen/befinden sich nicht in Behandlung und es besteht große Gefahr, dass diese in Arbeit vermittelt werden und hier auch nicht nachhaltig standhalten können. Insbesondere im Hinblick auf eine Bleibeperspektive und langfristige Integration besteht Gefahr, dass diese Personengruppe stark benachteiligt wird, bei gleichzeitig hoher Vulnerabilität.

Langfristige berufliche Perspektive sollte erarbeitet werden

Auch nach Arbeitsbeginn ist es wichtig, dass die Personen fortlaufend durch Beratungsangebote begleitet werden und Fördermöglichkeiten (Qualifizierung, Sprachmöglichkeiten) nutzen. Es könnte hilfreich sein, bereits zu Beginn der Beschäftigung einen langfristigen beruflichen Plan zu erstellen, der Aufstiegsmöglichkeiten und Fördermöglichkeiten in unterschiedlichen Phasen berücksichtigt.

Arbeit vor Ausbildung?

Eine schnelle Vermittlung in Arbeit mit A2 Niveau steht im Wiederspruch zu einer Vermittlung in Ausbildung. Diese ist erst nach B1 oder B2 Niveau möglich, da aber nicht mehr bis B2 gefördert wird, wird das für viele Personen bedeuten, dass sie keine Ausbildung anstreben können.

Anerkennung von ausländischen Abschlüssen

Anerkennungsverfahren dauern in Berlin sehr lange und sind manchmal nur mit B1 Niveau abzuschließen. Das bedeutet, Personen die das B1 Niveau nicht erreichen aufgrund vorzeitiger Vermittlung in Arbeit können auch länger nicht in höher qualifizierte Jobs einsteigen.

Abstimmung mit Arbeitgeber:innen

Vereinbarkeit von Einsatz in Teilzeit um berufsbegleitende einen Sprachkurs zu besuchen stellt sich als herausfordernd in der Praxis dar. Von einer helfenden Tätigkeit in eine qualifizierte Tätigkeit benötigt es die Abstimmung mit dem Arbeitgeber:innen. Hier ist aktuell häufig noch der Tonus, dass die Arbeitnehmer:innen zwar ihr Deutsch verbessern sollen, dies aber in Form von Freistellungen von Seiten der Arbeitgeber:innen nicht gewährleistet wird. Arbeitgeber:innen müssen bezüglich Fördermöglichkeiten und Beratungsangeboten geschult werden.

Ausweitung der Zielgruppe

Insbesondere vor Anerkennung ist es für viele Geflüchtete wichtig eine Arbeit zu finden um ihre Bleibeperspektive zu verbessern. Hier gibt es immer noch viele Hürden und lange Wartezeiten (Antrag auf Erlaubnis der Erwerbstätigkeit). Problem: Bleibeperspektive als Argument für eine Förderung heranzuziehen ist rechtlich unklar (vor Ergebnis eines Asylverfahrens). Hier besteht eine Förderlücke für Menschen im Asylverfahren oder Duldung, deren Potenziale nicht vollumfänglich genutzt werden können.

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Laura Gärtner
Zentrum Überleben gGmbH, Abteilung Flüchtlingshilfen
Projektleitung Bridge-Berliner Netzwerk für Bleiberecht

Das Projekt „bridge-Berliner Netzwerk für Bleiberecht” wird im Rahmen des Programms „WIR – Netzwerke integrieren Geflüchtete in den regionalen Arbeitsmarkt” durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert und aus Berliner Landesmitteln kofinanziert. Das Projekt endet im September 2026.