Internationaler Tag zur Unterstützung der Folteropfer

Das nahezu Unsichtbare sichtbar machen
– Folterspurendokumentation

26.6.2024

Folter ist ein Begriff, der den meisten schon beim bloßen Hören eine Gänsehaut über die Arme jagt. Der Gedanke an einen Menschen, der jemand anderem, gezielt massives Leid zufügt, ist zu schockierend und unbegreiflich. So schmerzhaft dieses Thema auch ist, fühlen wir uns im Zentrum ÜBERLEBEN dazu verpflichtet, genau hier hinzuschauen, um Betroffenen von Folter und schwerer Gewalt zu helfen. Die Dokumentation von Folterspuren ist ein wichtiges Mittel, das wir nutzen, um diese Menschenrechtsverbrechen festzuhalten und Überlebenden den Zugang zu Unterstützungsangeboten zu ermöglichen.

Eine Folterspurendokumentation umfasst sowohl körperliche Aspekte als auch psychische Folterspuren. Bei der körperlichen Dokumentation hält man sichtbare Folterspuren durch Fotos und Texte mit Beschreibungen fest – meistens handelt es sich bei diesen Spuren um Narben am Körper. Es werden darüber hinaus weitere Auffälligkeiten dokumentiert, auch wenn sie nicht zwangsläufig auf Folter zurückzuführen sind, um ein ganzheitliches Bild zu kreieren. Die Betroffenen werden außerdem dazu befragt, wie diese Verletzungen zustande gekommen sind – was ihnen angetan wurde. Für die Dokumentation von psychischen Folterspuren wird eine psychiatrische Untersuchung durchgeführt.

Leider sind diese Untersuchungen oft mit Schwierigkeiten verbunden: „Sehr häufig hinterlassen auch schwere Verletzungen nur kleine Narben“, erklärt Patricia Panneck, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Co-Leiterin der Tagesklinik [1] im Zentrum ÜBERLEBEN. „Insbesondere wenn die Folterspurendokumentation erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Folter stattfindet, sind die Befunde häufig sehr unscheinbar – selbst wenn die angewandte Gewalt massiv war. Zudem haben viele Folterer ein perfides Wissen darüber, wie sie ‚diskret‘ handeln können: die Anwendung von Elektroschocks hinterlässt beispielsweise kaum oder keine körperlichen Spuren. Das Gleiche gilt für sexuelle Formen von Folter. Es gibt durchaus Fälle, in denen trotz schwerer Gewalt keine körperlichen Befunde zurückbleiben, anhand derer die Folter klar belegt werden kann.“

Sind die Untersuchungen abgeschlossen, folgt ein fachärztliches Attest bzw. eine Stellungnahme. Darin wird genauer auf den Kontext der Untersuchung eingegangen. Es wird dargelegt, ob sie zum Beispiel im Rahmen einer Therapie oder eines externen Auftrages stattfand, wie der zeitliche Aufwand dafür war und was die betreffende Person über die Folter berichten konnte. Anschließend werden die Befunde dargestellt und die Symptome beschrieben, unter denen die Person leidet. In psychiatrischen Gutachten wird insbesondere darauf eingegangen, ob sich die psychischen Beschwerden im Rahmen einer Traumafolgestörung einordnen lassen und wie sie sich auf das Leben der betroffenen Person auswirken. Die Beweismachung ist nicht zuletzt wichtig, um Straftaten zu belegen und Schuldige zur Rechenschaft zu ziehen. Dies ist unter anderem zur Anklage von ehemaligen Offizieren des syrischen Militärgeheimdienstes genutzt worden. Mehr Informationen dazu gibt es in diesem Beitrag.

Die Erstellung der Gutachten ist für gewöhnlich mit hohen Kosten verbunden und bei uns im Zentrum ÜBERLEBEN nur dank einer Förderung der CMS Stiftung möglich [2] – und das, obwohl man Betroffenen viel besser dadurch helfen kann.

„Die Dokumentation von Folterspuren kann für die betroffene Person maßgebliche Veränderungen bewirken. So können beispielsweise im Asylverfahren mit einer Folterspurendokumentation Aussagen untermauert werden. Nach den EU-Aufnahmerichtlinien soll zudem auch die besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Personengruppen berücksichtigt werden. Hierzu zählen auch Menschen, die schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlebt haben – wie zum Beispiel durch Folter. Leider scheitert dieses Schutzkonzept häufig bereits daran, dass aufgrund fehlender Kapazitäten keine Folterspurendokumentation durchgeführt wird.
Unabhängig von diesen praktischen Konsequenzen stellt eine angemessene Dokumentation aber auch eine Anerkennung des erlebten Leides dar und stützt das Narrativ der Folterüberlebenden, welche in vielen Fällen leider zu wenig Gehör bekommen. So kann die Folterspurendokumentation für den persönlichen Verarbeitungsprozess wichtig sein, gleichzeitig ist sie ein politisches Anliegen“, so Patricia Panneck.


.
“Jeder Mensch ist eine ganze Welt für sich. Folter will diese Welt zerstören. Mitmenschliche Hilfe für einen körperlich und seelisch gefolterten Menschen ist der Versuch, eine ganze Welt zu retten.”
– Ein langjähriger Spender

Folter ist das grausamste Mittel einen Menschen zu brechen. Die Folgen von Folter sitzen tief – körperlich wie seelisch. Als Behandlungszentrum für traumatisierte geflüchtete Menschen sind wir darauf professionalisiert, Überlebenden schwerster Menschenrechtsverbrechen einen Weg in ein gesünderes Leben zu ermöglichen. Leider hängen nach wie vor auch unsere therapeutischen Angebote elementar von Spenden ab. Helfen Sie uns zum internationalen Tag zur Unterstützung Folterüberlebender mit Ihrer Spende, besonders schutzbedürftigen Menschen wieder neue Hoffnung zu schenken. Jeder Beitrag zählt!

.


.

[1] Die Tagesklinik im Zentrum ÜBERLEBEN wird in Kooperation mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin-Campus Mitte (CCM) betrieben.

[2] Das Projekt „Rechtliches Empowerment von Geflüchteten durch Zugang zu Stellungnahmen und Attesten“ wird gefördert durch die CMS Stiftung.

* Der Schutz unserer Patient:innen ist uns wichtig. Deswegen arbeiten wir mit Anonymisierungen bei Persönlichkeitsdaten und Fotos.