Stellungnahme des Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen zur

Aussetzung der Zustellung negativer Bescheide im Asyl-, Aufenthalts- und Sozialrecht

an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Außenstelle im Ankunftszentrum Berlin

Berlin, den 21.01.2021

Sehr geehrter Herr Dr. Chiari,

mit wachsender Sorge beobachtet das Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS) die Auswirkungen der Berliner SARS-CoV-2- Infektionsschutzmaßnahmenverordnung auf geflüchtete Menschen.

Die dringend gebotenen und erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS- CoV-2 – insbesondere die Aufforderung, im Homeoffice zu arbeiten – schaffen neue Hürden für geflüchtete Menschen beim Zugang zu asyl-, aufenthalts- und sozialrechtlichen Beratungsleistungen. Diesen Herausforderungen muss schnell, entschlossen und unbedingt begegnet werden – dies sehen wir als fundamentalen Bestandteil der Vertrauensbildung in die politisch notwendigen Entscheidungen einerseits und als rechtsstaatliches Gebot andererseits an.

Vor dem Hintergrund der Infektionsschutzmaßnahmen hat eine Vielzahl der Beratungsstellen die Angebote in ihren Räumlichkeiten eingeschränkt. Beratungstermine erfolgen überwiegend nach persönlicher Terminvergabe. Um der Forderung einer Kontaktreduzierung nachzukommen, arbeiten zudem viele Mitarbeiter*innen der Beratungsstellen im Homeoffice. Ähnlich stellt sich die Situation im Rahmen der Zuhilfenahme anwaltlicher Beratung dar – der Publikumsverkehr ist auch hier auf ein Minimum reduziert.

Hinzu tritt, dass die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes durch die eingeschränkte Öffnung der Rechtsantragstellen allenfalls begrenzt möglich ist. Auch hier ist eine telefonische Terminvereinbarung erforderlich, welche geflüchteten Menschen den Zugang zu Rechtsschutzmöglichkeiten erschwert oder gar unmöglich macht.

In den Unterkünften hat die notwendige Beratung durch Sozialarbeiter*innen in asyl-, aufenthalts- und sozialrechtlichen Verfahren eine erhöhte Infektionsgefahr zur Folge. Es mangelt nach wie vor an einem ausreichenden Zugang zu Internet und Beratungsräumen in denen Abstandsgebote eingehalten werden können – dies allerdings ist Grundvoraussetzung der Inanspruchnahme eines risikoarmen Beratungsangebotes. Eine Kontaktreduzierung ist unter diesen Umständen nicht möglich.

Die der Pandemie geschuldete Verknappung der Beratungsangebote sowie die Situation in den Unterkünften führen somit dazu, dass ratsuchende geflüchtete Menschen innerhalb der kurzen Fristen in asyl-, aufenthalts- und sozialrechtlichen Verfahren nicht adäquat reagieren können. Überdies kann das gesetzgeberische Gebot der Kontaktreduzierung nicht eingehalten werden.

Das Versenden fristgebundener rechtsmittelfähiger Bescheide durch das BAMF sowie der Berliner Behörden, insbesondere des Landesamts für Einwanderung, verkürzt in der augenblicklichen Situation die Rechtsschutzmöglichkeiten geflüchteter Menschen in einem nicht hinzunehmendem Maße – dies ist gesundheitsgefährdend und kann zu einer Gefahr für Leib und Leben

führen. Das Festhalten an der behördlichen Praxis ist in hohem Maße
verantwortungslos und in Teilen rechtswidrig. Der Vollständigkeit halber weisen wir an
dieser Stelle auf die in der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU gewährten Verfahrensgarantien hin, welche defacto nicht erfüllt werden können.

Während des ersten Lockdowns hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zustellung negativer Bescheide ausgesetzt. Dieses Vorgehen ist eine angemessene und notwendige Reaktion auf die pandemische Lage.

Wir fordern daher die Anpassung der behördlichen Praxis auf die augenblickliche Situation insbesondere durch:

  • Ein Hinwirken auf die Aussetzung der Zustellung negativer Bescheide, speziell im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts bis zum Ende des Lockdowns.
  • Ein Hinwirken auf die Aussetzung der Zustellung fristgebundener Bescheide, bei denen ein Verstreichenlassen der Frist negative Folgen hat.
  • Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Mitwirkungspflichten in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren, insbesondere Identitätsprüfung.

Wir bitten Sie um eine klare Positionierung zu rechtsstaatlichen Grundsätzen und danken Ihnen im Voraus für die entsprechende Umsetzung.

Im Auftrag des Berliner Netzwerks für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)

Nicolay Büttner
Politische Arbeit und Advocacy im BNS

Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH
Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen

Fachstellen im BNS

AWO KV Berlin-Mitte

Berliner Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (BZSL)

Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und MigrantInnen (KommMit-BBZ)

Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_Innen (KuB)

Schwulenberatung Berlin

XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte

Zentrum ÜBERLEBEN

 

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